Gesiezt, berauscht, begeistert bei Sufjan Stevens

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Schizophrenie meets Luftballons meets Bombast meets Zeitausdehnung: Sufjan Stevens Auftritt im Collosseum Theater in Essen zeigt, wie hochwertig und vielseitig Pop sein kann.

Sonntagabend in Essen: Während sich im benachbarten Gelsenkirchen der FC Schalke für den Pokalsieg feiern lässt, verdeutlicht sich mit dem Eintritt in das Collosseum Theater sprunghaft die noblere Ader des Ruhrgebiets: Edle Industriefassaden, Hochglanzmetall, Schwarzlack und, gewöhnt an die studentische Easyness des Alltags, ein kleines Schockerlebnis, als man bei Abnahme der Eintrittskarte von den Servicekräften vor Ort höflich gesiezt wird. 

Der Abend ist aber nun mal anders. Unter das sonst gutbürgerliche Publikum mischt sich eine Crowd von Fans, gespannt auf den Auftritt Sufjan Stevens. 

DM Stith gibt den Support, sitzt als Alleinunterhalter zwischen dem riesigen, roten Vorhang und dem durch die Verdunkelung unsichtbaren Publikum. Allein das schon, das self-looping, das "Ich sitze alleine hier und erzeuge mit wenigen Mitteln ein Miniorchester" von DM Stith, bewies noch vor dem Hauptauftritt, dass der Anspruch in Essen nicht gering gehalten wird.

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Und dann passiert das, was man erwarten durfte, aber nie verstehen konnte, wenn man es nicht gesehen hat: Die Bühnenshow eines Popkonzerts der allerhöchsten Kategorie. Die gigantische Projektionsfläche gibt den Visuals die Chance den ganzen Raum einzunehmen, die vielen Lichter treffen auf die neonreflektierenden Outfits der Stevens-Bande, Zeichnungen erscheinen auf der Leinwand und zitieren - wie Stevens später ausführlich erklärt - Werke des kryptischen US-Künstlers Royal Robertson. Kein einziger Laptop ist sichtbar und die Verwunderung ist groß, dass man, trotz der zugegeben stattlichen Zahl von über 11 Leuten auf der Bühne, einen Sound dieser Qualität hervorzaubern kann und das Publikum pompös beschallt, überrascht und dann und wann wieder mit kleinen, ruhigen Nummern zurück auf den Boden der Tatsachen holt. 

Der gesprächige Sufjan erklärt, auf welche neuen Wege er sich eingefunden hat, wie sehr das neue Album auf Jamsessions basiert und wie sehr ihn der eben erwähnte Royal Robertson inspiriert hat. Als hätte er mit seinen Arbeitskollegen ein Referat vorbereitet, passieren die Werke Robertons auf der Projektionsfläche, dokumentarisches Material über den Künstler und Informationen über sein Leben als ständiger Außenseiter, seine futuristisch-apokalyptischen Visionen und seine Psychosen. 

Parallel zum Werk Royal Robertsons hat sich auch Sufjan Stevens' Konzert aufgebaut: Eine fast ausschließliche Präsentation des aktuellen Albums Age of Adz, gepaart mit hektischen, aufgeladenen Lichteffekten; fast schon so überladen, dass man sich fürchten musste, wie bei stereotypen japanischen Zeichentrickfilmen im nächsten Moment epileptisch auf dem Boden zucken zu müssen.

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Tatsächlich verlief das Konzert den Erwartungen, die das neue Album vorgegeben hatte, entsprechend: Groß! Es war, wie einen neuen Sufjan Stevens zu erleben, der bei all den Performances engagiert mitmachte, und den Mut bewies, auch mal zu seiner Musik zu tanzen, an den Choreographien teilzunehmen oder sogar den humorvollen Entertainer zu mimen. Dem Ganzen setzte der fast halbstündige Auftritt zu "Impossible Soul" die Krone auf, der, nach einem bis dahin sehr intensiven Konzert, eine erstaunliche körperlich Leistung darstellte.

Das Publikum, noch sitzend und die Musik konsumierend, hält nicht mehr an sich, steht auf, "…it's not so impossible" tönt es von vorne. Wie in Ekstase bleibt das Publikum stehen und applaudiert und applaudiert weiter und wartet, dass nach all der Verausgabung Sufjan noch einmal die Bühne betritt, um mehr zu geben. Und es gab mehr: Mehr Energie, mehr Licht, ein Konfettifeuerwerk und bunte Luftballons bereiten dem Abend das Ende. Zweieinhalb Stunden nach dem Beginn des Konzerts ist dann doch Schluss. Berauscht gehen alle heim. Vermutlich, hoffentlich, sicher steht fest: dieser Abend ist nicht wiederholbar. [Philipp Wolf, CT das radio; Vielen Dank für die Fotos an Gerrit Starczewski]

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