Freitag Nachmittag, 15 Uhr. Eine riesige Traube junger Menschen steht vor der Pauluskirche in der Dortmunder Schützenstraße. Viele tragen zerschlissene Jeans, ausgelatschte Schuhe, lässige T-Shirts... Neugierige Passenten schauen und grübeln: "Ein zweiter Weltjugendtag?!" Nein, hier wartet keiner auf den Papst. Die rund 400 Gewinner des exklusiven Intimkonzerts der CampusRadios NRW warten auf Nada Surf. In der Pauluskirche werden die drei New Yorker ein Akustikset spielen. Das einzige Konzert in NRW. Und das kostenlos.
Für 16 Uhr sind Nada Surf angekündigt, und vor den Toren der Kirche wächst die Vorfreude. Um 15.20 Uhr immer noch kein Einlass. Es fehlen noch Daniel Lorca, der Bassist und Schlagzeuger Ira Elliot. Denn nach einem Promo-Gig am Vorabend in München haben sie nicht wie Sänger Matthew Caws den Flieger nach Düsseldorf gekriegt, sondern mussten sich mit einem Bus durch die Autobahnstaus quälen.
Dann ist es endlich soweit. Das mächtige Flügeltor öffnet sich, und alles stürmt in das helle Kirchenschiff. Sobald sich das Tor wieder schließt wird es schummerig, nur noch zu den haushohen gotischen Seitenfenstern und durch die gläserne Rose fällt Licht ins Innere. Am Kopf der schlichten Kirche eine imposante Orgel und davor Daniel, Ira und Matthew. Ohne große Worte geht es los mit "Blizzard" und "Happy Kid". In den Reihen des Publikum andächtiges Lauschen. Jeder Ton wird aufgezogen. Einige haben die Augen geschlossen, damit sie auch ja nicht eine Nuance verpassen. Ein Klang - (fast) himmlisch. Am Ende eines jeden Stücks Applaus, der von den Wänden widerschallt, Echos die in Echos übergehen, tosend, überwältigend.
Nur die Band scheint sich an die neue Umgebung noch nicht gewöhnt zu haben: Vielmehr sind sie auf der Suche nach dem Zusammenspiel und Zusammenklang, der ihr Songs ausmacht. Vielleicht so überwältigt? "Yesterday in Munich we played in a hall a couple of centuries old. We thought "That´s big!" but here in the church it´s huge. Amazing!", gesteht Matthew. Ganz so kann sich Daniel jedoch nicht begeistern. Der Bassist wirkt eher abgespannt und gelangweilt. Schien er noch auf dem Haldern-Pop-Festival 2005 ganz eins mit sich und seinem Instrument zu sein und auf diese Weise sich dem Publikum mitzuteilen, hier fehlt ihm diese Ausstrahlung völlig. Lustlos wirkt sein Spiel mit den Seiten.
Konträr dazu die Performance von Matthew und Ira. Zwischen ihnen und dem Publikum entspinnt sich eine Kommunikation, die auch ohne Worte auskommt, denn beide verzichten auf lange Ansagen und belassen es meist bei einem "Thank you". Nur einmal lässt sich Matthew, von der Location inspiriert, dazu hinreißen, etwas zum Thema Kirche und Staat loszuwerden und übt Kritik an seiner Heimat, den USA. Auch wenn hier die Trennung von Staat und Kirche in der Verfassung festgeschrieben ist, sieht Matthew eine bedrohliche und seiner Meinung nach zu starke Verflechtung. Was die Botschaft mitteilen soll, bleibt weiten Teilen des Publikums verschlossen. Schlagzeuger Ira baut seine eigene Verbindung zur Religion auf: Beim Fingerstrecken hält er auf einmal nur Zeigefinger und kleinen Finger in die Luft. Hörner etwa? Er selbst guckt verdutzt, schüttelt seine Finger aus und dabei energisch den Kopf. Lacher in den ersten Reihen. Lacher, die von überallher reflektiert werden und beinahe zu einem Lachen anwachsen. Aber eben nur beinah. Und Ira, vielleicht davon inspiriert, kniet sich immer mehr in die Kasper-Rolle.
Mit "Concrete Bed" spielen Nada Surf den ersten Titel vom neuen Silberling "The Weight Is A Gift". Darauf folgen "Inside Of Love" vom Let Go-Album und "What Is Your Secret?" wieder vom neuen Album, das in diesem exklusiven Rahmen schon vor der Veröffentlichung am Merch-Stand erhältlich war. Der Klang in der Kirche passt, lässt die Musik der New Yorker intim erscheinen. Minimales Equipment: Eine Akustikgitarre, eine Cajon (Percussioninstrument, sieht aus wie eine hohle Box), ein E-Bass und die Stimmen. Alles ganz nah, ganz unverfälscht, ganz rein. Nada Surf pur. Gänsehautgefühle bei "Imaginary Friends", das so minimalistisch und auf das Wesentliche reduziert zur Hochform aufläuft. Genauso "Always Love". Die aktuelle Single offenbart erst so ihren ganzen Zauber, ihre ganze Botschaft. "Hey you good ones", das gilt eindeutig für Matthew und Ira. Nach fünf Minuten schallendem Applaus kommen die beiden zurück, um eine Zugabe zu spielen. Zuerst ohne Daniel, aber für die letzten beiden Titel "Fruit Fly" und "The Way You Wear Your Head" ist der Freund von Coralie Clement dann wieder da und scheint endlich einmal zumindest für kurze Augenblicke Gefallen an seinem Instrument gefunden zu haben.
Nach dem Konzert sucht er vor der Kirche den Kontakt zu den begeisterten Fans. Autogramme gibt es jedoch nur von Ira und Matthew. Daniel: "I don´t give any autographs. That´s against my religion." Was auch immer die sein mag... (Sabine Rossi, eldoradio*)