Der Merchandise Stand lässt das Sammlerherz höher schlagen und den Geldbeutel ordentlich bluten. Über ein Dutzend Alben auf CD, von denen einige außer teuer bei ebay gar nicht mehr auf dem Markt erhältlich sind, streng limitiertes Vinyl und eine Reihe wunderschöne T-Shirts. So etwas kann einfach nur von Boris kommen, von der Band mit dem wahnsinnigen Ouput von 20 Alben seit 2000.
Als Support sind heute Milhaven aus Bochum dabei. Sie verzaubern das Publikum mit ihrem mitreißenden Postrock, der viele Elemente der Phase um 2000 herum zitiert, und ernten zu Recht sehr viel Applaus. Nach einer kurzen Pause betreten Boris schließlich die Bühne und legen ohne weitere Umschweife sofort los. Es scheint etwas Magisches in der Luft zu legen, von hinten drängen immer mehr Leute zu Bühne, um den drei Japanern so nah wie möglich zu sein. Drummer Atsuo ist der Anführer, hinter seinem Schlagzeug zeigt er sich von Anfang an sehr angriffslustig und impulsiv. Dagegen stehen Sänger Takeshi und Gitarristin Wada fast schon stoisch auf der Bühne. Besonders Wada sollte sich während des gesamten Abends nicht von der Stelle bewegen.
Boris beginnen mit drei Songs aus ihrer Metal- und Hardrock Phase. Wer nur die letzten Alben der Band verfolgt hat, konnte damit nicht unbedingt rechnen, doch auch dieser Stil, irgendwo zwischen Slayer und ihren „Namensgebern“ Melvins, steht ihnen perfekt. Immer wieder brüllt Atsuo kriegerische Laute ins Publikum, die ganz im Gegensatz zu Takeshis fast schon sanftem Gesang stehen. Das Publikum ist gefesselt, die Songs vom Album „Heavy Rocks“ vergehen wie im Flug und Phase zwei wird eingeläutet. Boris fahren nun schwere Doom Geschütze auf, die in ihrer Intensität vor allem Neurosis erinnern. Die Gitarren werden schwerer, das Schlagzeug schleppt sich träge vor sich hin, Takeshis Gesang wird noch mystischer. Es ist kaum in Worte zu fassen, was hier bloß drei Leute zu Stande bringen. Von der einen auf die andere Sekunde dreht sich die Stimmung um 180 Grad, rockige Ausgelassenheit verwandelt sich zu schwermütiger Wut. Das, was die drei auf die Bühne zaubern, ist im wahrsten Sinne des Wortes ganz große Kunst, sie sind große Meister ihres Fachs.
Es könnte ewig so weitergehen, denkt man sich, als Boris in die dritte Stufe eintreten, die aus einem großartigen einen unvergesslichen Abend machen wird. Das Abschlusslied, das ganz harmlos mit einigen Riffs angefangen hatte, entwickelt sich nämlich zu einem wahren Drone- und Feedback- Feuerwerk. Drummer Atsuo, der nach wenigen Minuten überflüssig wird, verabschiedet sich mit einem Sprung ins Publikum, das ihn sicher auffängt. Nun stehen nur noch Takeshi und Wada auf der Bühne und spielen um ihr leben. Die Feedback Effekte werden unglaublich laut und lassen die ganze Halle vibrieren. Harte Rocker im Publikum, die vorher dachten, ohne Gehörschutz auszukommen, sieht man auf einmal mit Fingern in den Ohren. Auch mit Gehörschutz ist man von dieser unnachahmlichen dröhnenden Welle nicht gefeit. Über 20 Minuten lang geht dieser Bastard aus „Flood“ und vielen Versatzstücken, ehe auch Takeshi die Bühne verlässt. Wada bleibt noch einige Minuten alleine. Hoffnungen, sie würde noch selbst zum Mikrofon greifen (so wie sie es auf dem jüngsten Album „Rainbow“ getan hat), bestätigen sich leider nicht, doch die charmante Verbeugung ist auch eine schöne Verabschiedung. (Felix Lammert-Siepmann, eldoradio*)