Was ein Akkord so alles ausmachen kann! Olafur kringelt sich noch immer auf der Bühne und kann sich vor Lachen kaum halten. Statt wie immer den Song mit einem Moll-Akkord zu beenden, hat er noch eine Dur-Sentenz eingebaut – sein Musiklehrer wäre stolz auf ihn. Denn der dränge ihn jedes Mal dazu, seinen Songs wenigstens einen Hauch von Hoffnung einzuverleiben, die sowieso immer einen melancholischen Duktus aufweisen.
Gepaart mit dem Missgeschickt bei „30:55“ scheint dies ein gar denkwürdiger Abend für den grundsympathischen 20jährigen aus Island zu sein. In den Proben übte man der Erzählung nach nämlich nicht nur die verträumten Epen des Debütalbums, sondern auch eine Technoversion von Ace Of Bases „All That She Wants“ (trotz mehrfacher Forderung leider nicht im Konzertteil), die just dann zurückschlug, als die Geigenbogen am höchsten flogen: Als falsch programmiertes Tool auf dem Laptop, was mit donnernden Beats dem Song Einhalt gebot. Das wäre zwar niemandem im Publikum störend aufgefallen, im Gegenteil, aber Herr Arnalds schien so beeindruckt, dass er sich noch minutenlang mit schüchterner Stimme für dieses Malheur entschuldigte.
Vor seinem Auftritt durfte aber erst einmal sein Cellist Enkidu sein Können unter Beweis stellen. Das tat er, in dem er seine Schuhe auszog – für das bessere Karma. Sowieso schien der wuschelige Gnom mehr Haare als Ego zu besitzen. Als Einmann-Projekt spielte er „happysad dancingtunes“, was ein wenig deplaziert anmutete, da das mit 250 Personen außerordentlich gut gefüllte Gleis 22 zur Hälfte auf Bierbänken Platz nahm. „Traffik“ überzeugte mit furiosem Geigenschwung und einnehmender Melodieführung, auch wenn Enkidu zurecht anmerkte, sein Unterfangen erinnere an fiese Karaoke, weil er ausschließlicher zur Beatmaschine sang – es fehle nur noch der Fernseher zum Ablesen.
Olafur Arnalds betrat kurze Zeit später mit seinem Streicherquartett die Bühne. Enkidu ausgeklammert allesamt eindeutig nicht befugt am Kiosk nebenan eine Flasche Alkohol zu ordern. Mit scheuem Blick und nervösen Zittern legte er mit einem brandneuen Song los, der auf dem Nachfolger zu seinem Debüt „Eulogy For Evolution“ erscheinen soll. Die reduzierten und entschleunigten Epen fanden ihren Widerhall beim ebenso konzentrierten Publikum, das sich gänzlich in eine Atmosphäre der Stille fügte. So hatten Olafur und seine Mitstreiter leichtes Spiel. Man merkte ihnen zunächst nicht an, dass sie bereits ein paar Tage auf Tour sind, denn leichte Unsicherheiten am Piano und bei den Streicherinnen zeugten davon, dass hier trotz klassischem Ansatz keine routinierten und klassisch ausgebildeten Musiker am Werk sind. Das tat der Stimmung keinen Abbruch. Der stoische Beat von „Himininn Er Ad Hrynja“, einem Song seiner Tour-EP, fügte sich in die wuchtigen Streichermelodien ein, bevor mit „09:52“ leise Töne die Oberhand gewannen. Das wortlose Spiel mit der Dramatik, dem Ausufernden, dem Zurückgezogenen spendete viele Glücksmomente. Die schrulligen Ansagen taten Übriges hinzu.
Großer Gewinner des Abends war gerade trotz der Techno-Attitüde das wundersame „30:55“. Die Beats aus dem Laptop reichten diesem Song eine Rasanz, die gerne öfter zu spüren gewesen wäre, zumal das Schlagwerk komplett fehlte. Der Rest war purer, wunderschöner Wohlklang, den Coverversionen von Death Cab For Cutie und Cursive passend abrundetet. Statt dem Weihnachtsoratorium von Back wird wohl auch nächstes Jahr das Konzert eines gewissen Isländers rot im Kalender vermerkt. Musik, die noch lange warm hält. (Markus Wiludda, eldoradio*)